Vier Siege in Serie und jetzt im DFB-Pokal den Topfavoriten in München ausgeschaltet – bei Bayer 04 Leverkusen macht sich wieder das Gefühl der Stärke aus der Vorsaison breit. Und dafür gibt es gute Gründe.
Vier Spiele wecken altes Selbstverständnis
Auf einmal ist es wieder da. Und diesmal so nachhaltig wie noch nie zuvor in dieser Spielzeit. Dieses Gefühl bei Spielern und Verantwortlichen von Bayer 04, wieder im Modus der vergangenen Saison zu sein. Im Meister-Modus mit all seiner Konsequenz, seiner Energie, seinem Selbstvertrauen und dem daraus resultierenden Erfolg.
Nach dem 0:0 gegen den VfB Stuttgart am 1. November, als Bayer 04 trotz der Nullnummer eine bärenstarke Leistung ablieferte und sogar deutlich hätte gewinnen können, hatte ein Spieler wie Granit Xhaka, der nicht zu verfrühter Euphorie neigt, schon das Comeback des alten Geistes erkannt. Doch die anschließende 0:4-Klatsche beim FC Liverpool trübte diesen Eindruck. Der dann durch das enttäuschende 1:1 in Bochum endgültig konterkariert schien.
Die Klatsche in Liverpool relativiert sich mit Reals und ManCitys Auftritt dort
Doch die 0:4-Packung in Liverpool relativiert sich inzwischen mit jeder Niederlage eines anderen europäischen Topteams wie Real Madrid (0:2) und Manchester City (0:2), die an der Anfield Road ebenfalls chancenlos waren. Nimmt man zu den jüngsten Auftritten noch die starke erste Hälfe von Bayer 04 in Liverpool hinzu, zu der weder Real noch ManCity bei ihren hochverdienten Niederlagen imstande waren, präsentiert der Werksklub wieder eine enorme Bandbreite an Qualitäten und gewinnt eben auch wieder die engen Spiele wie am Dienstag in München.
„Die Ergebnisse sind aktuell sehr gut. In der Bundesliga und auch in der Champions League haben wir es sehr gut gemacht mit vielen Toren. Heute war es spieltechnisch nicht gut von uns, aber das zählt ja auch nicht“, urteilte Nationalspieler Robert Andrich nach dem 1:0-Sieg in München, „wir sind wieder so drauf, dass wir sagen, wir gewinnen auch die dreckigen Dinger. Das ist auch entscheidend.“
Diese essentiell wichtige Fähigkeit scheint zurück, die Kehrtwende vollzogen. Davon ist jedenfalls Abwehrchef Jonathan Tah überzeugt. „Wir haben akzeptiert, dass es einfach nicht so wie in der letzten Saison geht, dass es gefühlt wie von selber passiert, dass wir jedes Spiel drehen, wenn wir im Rückstand sind, sondern dass wir uns das und auch das Glück wieder erarbeiten müssen“, erklärt der 28-Jährige.
„Jetzt haben wir diesen Turnaround geschafft.“ (Jonathan Tah)
Inzwischen ist Bayer 04 wieder konstant in die Spur gekommen. Zerlegte den FC Heidenheim (5:2) und in der Champions League Salzburg (5:0) mit spielerischer Brillanz, siegte als erstes Team der Liga in dieser Saison an der Alten Försterei, erzielte dort als bislang einziges Team mehr als einen Treffer bei einem kühl berechneten Erfolg. Und legte jetzt in München nach.
Die Demut ist zurückgekehrt und der Unterschied nicht nur aus Tahs Sicht greifbar. Zuvor habe man eine Phase erlebt, „in der wir nicht katastrophal gespielt haben, aber in der wir zu viele Gegentore gekriegt haben, in den letzten Minuten nicht konsequent genug waren und noch den Ausgleich bekommen haben. Damit sind wir erwachsen umgegangen und haben jetzt diesen Turnaround geschafft, um jetzt diese Spiele zu gewinnen und weniger Gegentore zu kriegen“, erklärt der in München herausragende Abwehrchef.
Die Bilanz gegen Bayern hat Kräfte freigelegt und wird dies erneut tun
Woraus das nächste Symptom einer Titeltauglichkeit wieder freigelegt wurde: In den jüngsten sieben Partien auf nationaler Ebene kassierte Bayer insgesamt nur vier Gegentreffer, behielt vier Mal eine weiße Weste. Der Glaube an die eigene Stärke ist zurück. In der Double-Saison kassierte Bayer in der Liga insgesamt nur 24 Treffer. Dass die Trendwende ausgerechnet mit einem Zu-null-Erfolg beim bisherigen Überflieger dieser Bundesligasaison, dem FC Bayern, ihren bisherigen Höhepunkt erlebte, ist dafür bezeichnend.
Die Fragezeichen aus dem ersten Saisondrittel sind bis zur Unkenntlichkeit verblasst, das alte Selbstverständnis zurück. Der Sieg in München hat sein Übriges dazu getan. Es war das fünfte Spiele ohne Niederlage gegen den FC Bayern in Serie, der dritte Sieg in diesen – alle unter Xabi Alonso bestrittenen – Partien. Eine Bilanz, die bereits Kräfte freigelegt hat und dies nach dem jüngsten Erfolgserlebnis gegen die Münchner erneut tun wird.
„Das hat sehr viel mit dem Kopf zu tun.“ (Jonathan Tah)
Der Double-Gewinner, der in den jüngsten 74 Pflichtspielen nur drei Niederlagen erlitt und in der aktuellen Spielzeit von 21 Partien nur die in Liverpool und gegen Leipzig (2:3) verlor, hat diese Attitüde wiederentdeckt, strahlt wieder Überzeugung von der eigenen Stärke aus. Selbst gegen einen Kontrahenten wie die Bayern.
„Wir spielen einfach mit sehr viel Selbstbewusstsein“, erklärt Tah den psychologischen Schlüssel zum Erfolg gegen den Rekordmeister, „es hat sich ein gewisses Selbstverständnis entwickelt, dass wir eben keine Angst haben und mutig sind, dass wir versuchen, unser Spiel zu machen. Das hat sehr viel mit dem Kopf zu tun, mit Selbstbewusstsein. Natürlich haben wir dann auch die Qualität, um auf diesem Niveau mitzuhalten.“
In München gelang dies, obwohl Topstar Florian Wirtz, anders als in den drei Partien zuvor, nicht den spielentscheidenden Part übernahm. Der neue Flow, den Simon Rolfes „auf alle Fälle“ konstatiert, ging auch ohne einen Auftritt des von allen nur „Flo“ genannten Ausnahmekickers weiter.
Rolfes betont die Mentalität
So betonte der Geschäftsführer die zurückgewonnene psychische Stärke und damit auch die Stabilität als Team. „Dass wir Qualität und auch die Mentalität haben und die Stärke, auch schwierige Situationen trotzdem zu lösen – das haben wir auch heute gezeigt. Wenn du merkst, dass es mit Ball nicht so top läuft, dann stehst du gut, verteidigst stabil.“
Das vielleicht letzte Fragezeichen besteht darin, dass Bayer in München trotz über 70-minütiger Überzahl die Partie offensiv nicht wie gewohnt zu dominieren verstand. Jetzt muss die Mannschaft ihren Flow bis zum Jahresende aufrecht erhalten. Um dieses Gefühl nachhaltig zu verfestigen und im neuen Jahr dann auch dem Titelkampf in der Liga noch eine neue Note zu verleihen.