Vor 90 Jahren verstarb kicker-Gründer Walther Bensemann. Der Pionier blieb seinen Idealen auch im Exil treu.
Zum Todestag des kicker-Gründers
Die aktuelle Ausgabe des kicker geht bereits in Druck, als in der Redaktion ein Telegramm aus Montreux eintrifft. Es kommt von Albert Mayer, der vermeldet, dass sein Freund Walther Bensemann am Mittag des 12. November 1934 in der Schweiz verstorben sei. Der kicker erscheint am Tag darauf mit einer schmucklosen Mitteilung zum Tod seines Gründers und langjährigen Herausgebers. Sie enthält nur zwei nüchtern-distanzierte Sätze, und in der Hektik der Produktion passiert auch noch ein peinlicher Fehler: Im Vornamen des Fußball-Pioniers fehlt der Buchstabe „h“.
Die Sterbeanzeige ist ein Symbol dafür, wie weit und wie schnell sich das Fachmedium unter der Herrschaft des NS-Regimes von seinem geistigen Vater und dessen Werten entfernt hatte. Bensemann hatte den kicker 1920 als „Symbol der Völker-Versöhnung durch den Sport“ gegründet, nun war das Blatt ein linientreues Organ der Machthaber.
Immerhin widmet Hauptschriftleiter Hans-Jakob Müllenbach, der zuvor Bensemanns Ziehsohn und wichtigster Mitarbeiter war, seinem Vorgänger in der folgenden Ausgabe vom 20. November 1934 noch einmal einen Text in der Rubrik „Wochenspiegel“, die Bensemanns berühmte Glossen auf den ersten Seiten jeder Ausgabe ersetzt hatte. Die fünf Absätze lesen sich wie eine Mischung aus persönlicher Verbundenheit und einem Sich-Andienen an die Ideologie der Nazis.
Bensemanns Verdienste um die Gründung zahlreicher Vereine werden gewürdigt, seine kosmopolitische Haltung bleibt jedoch unerwähnt. Bensemanns Erkrankung wird als „erste Ursache für sein Ausscheiden aus Schriftleitung und Verlag“ genannt, die wahren Hintergründe aber verschweigt Müllenbach.
Flucht in die Schweiz
Kurz nach seinem 60. Geburtstag befand sich Bensemann im Frühjahr 1933 tatsächlich bei schlechter Gesundheit, doch den kicker und das Land musste er verlassen, weil er Jude war. Er fand in der Schweiz Unterschlupf bei alten Gefährten, wohnte in Montreux beim späteren IOC-Mitglied Mayer und in Zürich bei Ivo Schricker. Der damalige FIFA-Generalsekretär sorgte auch dafür, dass Bensemann im Sommer 1934 noch einmal auf der Weltbühne des Fußballs auftauchte: Ein Foto, das auch der kicker abdruckte, zeigt ihn beim FIFA-Kongress in Rom mit Präsident Jules Rimet.
Bei der WM 1934 erlebte Bensemann auf den Tribünen, wie sich eine seiner Utopien erfüllte. Die Tradition internationaler Fußballspiele hatte er Jahrzehnte zuvor selbst mitbegründet. Unter anderem, indem er 1899 erstmals eine Auswahl der englischen FA nach Deutschland geholt hatte. Die drei Urländerspiele, zwei in Berlin, eines in Karlsruhe, feiern Ende November ihr 125. Jubiläum.
„Der Sport und seine Leistungen muss aus der Freiheit des Herzens kommen muss und nicht aus der schwelenden Glut der Italia-Schreier.“ (Walther Bensemann)
Im faschistischen Italien erkannte Bensemann aber auch, wie die Idee der Ländervergleiche nationalistisch missbraucht wurde. „Mir klingen noch seine Worte in den Ohren, die er einem zuflüsterte, damals 1934, auf der Tribüne von Rom, beim Fußball-Weltmeisterschaftsendspiel, mit einem besorgten Blick zu Mussolinis Loge: ‚Wenn unserer Jugend bloß der Krieg erspart bliebe …'“, erinnerte sich der spätere kicker-Chefredakteur Dr. Friedebert Becker.
Durch Italien reiste Bensemann mit dem Radioreporter Paul Laven, der später ein Gespräch zwischen Bensemann und dem italienischen Nationaltrainer Vittorio Pozzo wiedergab: „Vittorio, Vittorio – jeder nach seiner Fasson. Aber, wenn du mich fragst, dann sage ich, dass der Sport und seine Leistungen aus der Freiheit des Herzens kommen muss und nicht aus der schwelenden Glut der Italia-Schreier.“ Sein Ideal vom Fußball als „ein Elixier friedlichen Frohsinns in der Welt“ sah Bensemann von Italiens Weltmeister-Team und dessen rücksichtsloser Härte nicht nur beim 2:1-Sieg im Finale gegen die Tschechoslowakei mit Füßen getreten.
„Ich habe frei gelebt und will frei sterben“
Von Bensemann selbst sind aus den rund eineinhalb Jahren nach seiner Flucht nur einzelne Briefe erhalten, er war im Exil ohne publizistische und finanzielle Mittel. Es sei „keine Schande, auf den Boulevards zu betteln, aber eine Sünde gegen den Heiligen Geist, auch nur eine Zeile zu Papier zu bringen, die nicht von Herzen kommt“, schrieb er im Dezember 1933 und wendete sich von Deutschland ab: „Das Wichtigste, was mir zu tun übrig bleibt, ist nicht zurückzukommen – trotzdem ich von vielen guten Menschen darum ersucht wurde, trotzdem es finanziell weit besser wäre u. ich bei meinen Freunden wäre. (…) Ich bin ein alter Demokrat und habe in der neuesten ‚freiesten‘ Demokratie der Hitler, Goebbels und Schacht nichts verloren. Ich habe frei gelebt und will frei sterben.“