Zwischen Standing Ovations und deutlich vernehmbaren Buhrufen lagen rund drei Stunden und 20 Minuten. Um 15.10 Uhr hatte Hans-Joachim Watzke am Sonntag nach über 20 Jahren den Vorsitz der Geschäftsführung von Borussia Dortmund abgegeben und sich vom Podium der Mitgliederversammlung ins Publikum gesetzt. Auf den Leinwänden lief ein emotionaler Film mit den vielen sportlichen Highlights seiner langen Amtszeit.
Der Gang nach unten war das sichtbare Zeichen für einen Schritt zurück aus der Verantwortung für die Kapitalgesellschaft, aber eben auch nur ein Zwischenstopp, um wenig später wieder aufs Podium steigen zu können und dann als neu gewählter Präsident sogar direkt die Sitzungsleitung übernehmen zu können – am liebsten erneut unter Standing Ovations. Dieser Weg war von langer Hand vorgezeichnet, die Erfüllung seines Lebensraums, wie Watzke mehrfach im Vorfeld betont hatte.
Hinter Watzke liegt ein schwieriges Jahr mit vielen Konfliktlinien
Doch das Ergebnis, das ihm die Mitglieder auf dieser denkwürdigen und auch denkwürdig langen Versammlung am Sonntag mitgaben, dürfte er sich nicht so ausgemalt haben. der vor Ort anwesenden oder digital zugeschalteten Mitglieder gaben ihm ihre Stimme, dabei war Watzke ohne Gegenkandidat angetreten. Es war mehr als ein Denkzettel, sogar eine echte Abstrafung, die der mächtige Funktionär in diesem Moment von seiner oft propagierten Borussen-Familie hinnehmen musste.
Der 66-Jährige nahm das Ergebnis sichtbar getroffen hin und die Wahl mit einem sehr schmalen Lächeln auf den Lippen an. Sein Dank galt denjenigen, die für ihn gestimmt hatten, den Nein-Sagern sprach er „meinen Respekt“ aus. Trotz des überraschend deutlich geäußerten Frusts kam die geringe Zuneigung aus den eigenen Reihen nicht komplett überraschend. Hinter Watzke, der von den organisierten Fans schon länger kritisch gesehen wird, liegt ein schwieriges Jahr als Geschäftsführer, ein Jahr mit vielen Konfliktlinien.
Ein alter, aber erst jetzt öffentlich aufgedeckter Missbrauchsskandal im e. V., über dessen mangelhafte Aufklärung auch am Sonntag viele Diskussionen geführt wurden, belastete auch ihn als KGaA-Geschäftsführer, der kurze Wahlkampf gegen seinen Vorgänger Reinhold Lunow, der von beiden Seiten mit allen Mitteln geführt wurde und beinahe zu einer Schlammschlacht geführt hätte, stand dem gesamten Verein nicht gut zu Gesicht.
Dabei hatte Watzke in seiner Rede als Noch-Geschäftsführer und baldiger Präsident in 25 Minuten alles versucht, um seinen Rollenwechsel plausibel zu erklären. Der Tenor: Er wolle die über 230.000 Mitglieder vertreten, auch bei Themen, zu denen er als Geschäftsführer eine andere Meinung hatte und haben musste.
„Ich habe sehr viel Demut und Respekt vor dieser Aufgabe“, betonte er: „Es ist eine neue Rolle. Als Geschäftsführer war ich in einer anderen Situation. Ich musste immer nach beiden Seiten jonglieren.“ Nun müsse er „mehr moderieren“ und wolle „ein Präsident für alle Borussinnen und Borussen sein“. Sein Auftrag: „Ich muss den Dialog aufrechterhalten und zuhören.“
Nicht alle Mitglieder glauben, dass Watzke so schnell die Rollen tauschen kann
So sei auch das Mitglieder-Votum des vergangenen Jahres zum Thema Rheinmetall und dem genauen Überprüfen des Vertrags mit dem Rüstungskonzern ein Auftrag an ihn. „Der Beschluss der Mitgliederversammlung von 2024, da gibt es keine Interpretation, ist gültig.“ Er werde das Thema zwar „nicht auf die Tagesordnung heben, aber wenn aus dem Verein heraus Diskussionsbedarf besteht, können wir das den Mitgliedern nicht verwehren“. Die Botschaft war klar: Ich bin jetzt für euch Mitglieder da, nicht mehr für unsere Aktionäre.
Doch dass er so schnell die Rollen tauschen kann, glaubten eben nicht alle der anwesenden Mitglieder. In vielen Redebeiträgen hagelt es Kritik an Watzke, am Wahlausschuss und an anderen Gremien des Vereins. Die Stimmung in der Westfalenhalle 3 war zwischendurch durchaus aufgeladen.
Am Ende blieb Watzke zumindest die Demütigung eines zweiten Wahlgangs erspart. Das zwar geringe Votum legitimiert ihn dennoch zu erst einmal drei Jahren Präsidentschaft bei Borussia Dortmund, seinem Lebenstraum. Sein Wirken wird nun zeigen, ob ihm der Rollenwechsel so gelingt, wie er ihn skizziert – und nicht so, wie es viele kritische Mitglieder befürchten.
Hans-Joachim Watzkes Lebenstraum hat mit einer Abstrafung begonnen: Dass der neue BVB-Präsident bei der Wahl am Sonntag nur 59 Prozent der Stimmen erhielt, hat seine Gründe.
