Der VfL Wolfsburg hätte mit einem Heimsieg über Werder Bremen Achter sein können, in Schlagdistanz zum eigenen Saisonziel. Doch statt nah an Europa zu sein, bleibt die Mannschaft im Tabellenkeller hängen – und ist in zwei Statistiken sogar Letzter.
Wolfsburg bei St. Pauli – das Duell der läuferischen Gegensätze
Die Sache mit dem Ballbesitz interessiert Ralph Hasenhüttl nicht sonderlich. Mit 39 Prozent ist seine Mannschaft in dieser Statistik im Ligavergleich Letzter. „Das ist unserem Spiel geschuldet“, erklärt der Trainer, „damit haben wir auch gar kein Problem.“ Viel wichtiger sei ihm die Anzahl der geschossenen Tore, 15 sind es schon nach sieben Spielen, nur Meister Leverkusen (18) und Tabellenführer Bayern (24) haben häufiger getroffen. Und überhaupt: Der VfL hat sich aufs Umschaltspiel spezialisiert, will mit Tempo und schnellen vertikalen Angriffen zum Erfolg kommen.
So ist es kein Zufall, dass das VfL-Spiel so aussieht, wie es aussieht. Der Balll zirkuliert nur selten durch die eigenen Reihen, das Aufbauspiel ist mitunter gar nicht existent, weil die spielerisch ohnehin limitierten Innenverteidiger bevorzugt den langen Schlag nach vorne wählen. Entweder, um so direkt die schnellen Spitzen Mohammed Amoura und Tiago Tomas in Szene zu setzen oder über gewonnene zweite Bälle in die Nähe des gegnerischen Tores zu gelangen. „Unsere Schwerpunkte liegen nicht im Spiel durch die Linien und dem Spielaufbau vom eigenen Tor aus“, hatte Hasenhüttl unlängst erklärt. „Wir versuchen, das Risiko zu vermeiden.“ Die entscheidende Frage laute eher: „Wie kommen wir nach Ballgewinnen schnell vors Tor?“
Der niedrige Ballbesitz ist gewünscht
Der niedrige Ballbesitz ist also gewünscht. Eine andere Zahl verwundert hingegen deutlich stärker. Denn meistens ist es ja so, dass, wenn der Gegner häufiger den Ball hat, dann läuft die andere Mannschaft automatisch mehr, um diesen zu erobern. Jedoch: Bei der bisherigen Laufleistung nach sieben Ligaspielen ist der VfL ebenfalls Letzter. Und zwar deutlich. 769,53 Kilometer hat die Hasenhüttl-Mannschaft bislang zurückgelegt, rund 15 Kilometer weniger als der Vorletzte aus Bochum (785,62 Kilometer).
Läuft’s beim VfL nicht, weil der VfL nicht läuft? Kurios ist es allemal, zumal die anderen „Kellerteams“ ins Sachen Ballbesitz, etwa Frankfurt (40 Prozent), Union Berlin und Heidenheim (beide 41), überdurchschnittlich viel laufen. An der Wolfsburger Fitness kann es kaum liegen, dass die Mannschaft keine Kilometer „frisst“, bei den intensiven Läufen und den Sprints steht das Team zudem ganz ordentlich da.
Im Sommer hat Hasenhüttl großen Wert auf die Fitness gelegt
Und schließlich hatte Hasenhüttl in der Sommervorbereitung größten Wert darauf gelegt, seine Mannschaft auf ein besseres Fitnesslevel zu hieven. „Grundsätzlich sind wir nicht unfit“, hatte der Österreicher zum Ende der abgelaufenen Spielzeit gesagt, nach den ersten acht Spielen unter seiner Führung stellte er jedoch klar: „Für die Intensität, die unser Spiel mit sich bringt, kann man im Sommer schon noch mal ein Stück drauflegen.“
Und doch marschiert der VfL nicht, verteidigt meistens Mann-gegen-Mann über das gesamte Feld, läuft aber offenbar den Gegenspielern nur hinterher. Eigene Aktivität im Ballbesitz, Tiefenläufe, um die Abwehrkette des Gegners mal ein bisschen in Bewegung zu bringen, fallen angesichts der Spielanlage fast weg. Bezeichnend war das Spiel gegen den Stuttgart (2:2): Obwohl die Schwaben nach dem Platzverweis für Atakan Karazor rund eine halbe Stunde in Unterzahl spielten, liefen sie am Ende sogar etwas mehr als der VfL. Gegen Bremen (2:4) nun agierte Wolfsburg nach Rot an Patrick Wimmer ab Mitte der zweiten Hälfte selbst in Unterzahl – und hatte am Schluss fast acht Kilometer weniger als Werder zurückgelegt.
Dass eine schwache Laufleistung nicht automatisch Misserfolg bedeutet, zeigte der Sieg vor der Länderspielpause beim VfL Bochum (3:1). Der Gastgeber kam auf 110,15 Kilometer, Wolfsburg hingegen hatte nur magere 104,92 – dafür aber drei Punkte. Und auch beim Erfolg in Kiel (2:0) war der VfL mit 109,33 Kilometern dem Gegner mit 112,71 Kilometern läuferisch unterlegen. Bislang gab es nicht ein Spiel, in dem der VfL mehr lief als der Gegner.
Unter Glasner „liefen“ die Wölfe in die Königsklasse
Das sah in den vergangenen Jahren unter Hasenhüttl-Vorgänger Niko Kovac anders aus – was zeigt, dass viel Laufen auch keine Erfolgsgarantie bietet. In der Vorsaison stellte der VfL wie auch im Jahr zuvor die Mannschaft mit den sechstmeisten Kilometern der Liga. 2020/2021 landete Wolfsburg in der echten Tabelle wie auch bei der Laufdistanz unter Trainer Oliver Glasner auf Rang vier – Champions League! 2021/2022 erfolgte der Absturz, läuferisch und tabellarisch. Unter Mark van Bommel, der früh von Florian Kohfeldt abgelöst wurde, war das Team, glaubt man den Erzählungen, so wenig fit wie ewig nicht. Die Fehler der Vorbereitung ließen sich im Laufe der Saison nicht mehr vollends ausbügeln, der VfL geriet in den Abstiegskampf. Und landete in der Lauftabelle auf Rang 18.
St. Pauli lief schon 82 Kilometer mehr als der VfL
Dem Tabellenkeller wollen die Niedersachsen in dieser Saison eigentlich fernbleiben, vielmehr ist das internationale Geschäft das Ziel. Am Samstag (15.30 Uhr, LIVE! Bei kicker) tritt die Hasenhüttl-Mannschaft bei Aufsteiger St. Pauli an. Es wird ein Duell der läuferischen Gegensätze. Denn: Der Letzte in der Lauftabelle aus Wolfsburg trifft auf den Ersten. Die Hamburger rissen in dieser Saison schon 851,57 Kilometer ab. Und damit ganze 82 Kilometer mehr als der VfL.